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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - rechts links
Die Menschen, die sich für politische Dinge interessieren, diskutieren recht intensiv, wie weit der Aufstieg der extrem rechten Bewegungen auf das Versagen der Linken zurückzuführen sei. Die Frage ist nicht korrekt gestellt. Sie geht davon aus, dass Links und Rechts unverrückbare Kategorien sind in der politischen Auseinandersetzung, und das trifft nicht zu.

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Man sieht es in der Praxis schon seit der Entstehung der Zweiteilung, die meines Wissens auf das vorrevolutionäre und revolutionäre Frankreich zurückgeht. Die französische bürgerliche Revolution hat innerhalb von zehn Jahren einen der mächtigsten Kaiser Europas hervorgebracht, einen kleinen Mann, der als kleiner Militär begonnen hat, aber immerhin: vom Bürger Buonaparte zum Kaiser Napoleon war’s ein verhältnismäßig kurzer Weg. War der links oder rechts? Hat die Guillotine mehr linke als rechte Köpfe abgeschnitten? Die Auseinandersetzungen innerhalb der Linken im 19. Jahrhundert sind bis aufs Komma dokumentiert, und als zum Ende des Ersten Weltkriegs die kommunistischen und sozialistischen Bewegungen ein bisschen überall an die Macht kamen, waren es nicht nur die Kräfte der Rechten, welche sie wieder zu Fall brachten, sondern gerne auch interne Auseinandersetzungen. Die Geschichte der Sowjetunion kann man nur zu ganz kleinen Teilen als eine Erfolgsgeschichte der Linken lesen; dieser Fall muss unter einer eigenen Kategorie abgehandelt werden. Die Befreiungsbewegungen, die sich in den fünfziger und sechziger Jahren ein bisschen überall im Süden der Welt durchsetzten, zogen kaum einmal eine linke Politik durch, welche den Namen auch verdiente, und daran waren auch nicht immer die US-Geheimdienste schuld. Wenn man sich anschaut, was in Nicaragua und in Venezuela aus dem sozialistischen Ideenreich in die lateinamerikanische Realität übergeschwappt ist, wird man sich jedenfalls nicht zufrieden den Bauch kratzen. Die Volksrepublik China nennt sich sozialistisch, soviel ich weiß, jedenfalls ist die Kommunistische Partei an der Macht; hier aber ist eher von Macht zu sprechen als von Kommunismus, wobei in der Strategiezentrale immerhin die Gesamtinteressen des Landes im Vordergrund stehen; dahinter finden die gleichen Machtkämpfe statt wie ein bisschen überall. Und auf jeden Fall bestehen die chinesischen Interessen keineswegs in einer Form der kommunistischen Internationale, sondern der chinesischen Vorherrschaft, was man angesichts der Gegenspieler in den Vereinigten Staaten zwar begreift, aber schlicht und einfach nicht links nennen kann. Und auch nicht rechts.
Wir kleinen Fische organisieren uns in links und rechts drehenden Schwärmen und haben selbstverständlich die Tendenz, bei unseren Prinzipien zu bleiben, und solche Prinzipien waren bis vor ein paar Jahren oder Jahrzehnten bei den Linken und bei den Rechten gut und verständlich geordnet und jeweils für die eine Partei immer besser als bei der Gegenpartei. Wenn es aber in den realpolitischen Prozess hinein geht, dann bleibt von solchen Prinzipien nichts übrig. Fertig Revolution, fertig freies Unternehmertum, freies Spiel der Kräfte, unsichtbare Hand der Märkte, fertig Gleichheit, Freiheit, Schwesterlichkeit. In der Praxis betreiben alle Regierungen in allen Ländern keine Politik mit Grundsätzen mehr, sondern eine Politik des Interessensausgleiches, ein Verteilungswalzer der verschiedenen Lobbies im Land, die in der Regel nicht zufällig zu ihrer Stärke gekommen sind. Es können daraus durchaus lustige Kombinationen entstehen, da die Interessengruppen selber nicht homogen sind, wenn man mal von den Bauern und Bäuerinnen absieht. Das ist aber sowieso ein Spezialfall, die Bäuerinnen und Bauern sind so etwas wie Fleisch gewordene Ammenmärchen, reine, als Gruppe gut bezahlte Trägerinnen von Ideologie. Die Herstellung von Fleisch, Gemüse, Getreide, Kartoffeln und so weiter wird weltweit von den jeweiligen Ländern als strategischer Sektor definiert und hoch subventioniert mit den bekannten Folgen: Überproduktion und Vergiftung der globalen Konsumentinnen, wobei es sich um eine milde Form der Vergiftung handelt, sonst würden uns diese Bevölkerungen ja rasch aussterben; stattdessen werden sie immer älter und beginnen, vegetarisch zu leben. Jedenfalls kann man die Landwirtschaft nicht als Ökonomie bezeichnen, hier geht es um ein Schauspiel für die Öffentlichkeit, eine Darbietung, welche der modernen Gesellschaft und ihren Gesellschafterinnen beweisen soll, dass sie nach wie vor in einem Biedermeier-Staat leben. Solange die Kuh scheißt, ist die Welt gut. Der China-Handel mit bayrischen Schweineöhrchen und Schnauzen und Schwänzen bleibt ein kleiner Scherz der Weltgeschichte, das atypische Auftreten kapitalistischer Strukturen in diesem rein politischen Scherztheater. Vor dem Hintergrund solcher agrarpolitischer Mätzchen kann man alles anstellen, zum Beispiel das Verbrenner-Aus nicht nur bekämpfen wie unser fantastischer Bauernvertreter Weber, sondern sogar aufheben auf der EU-Stufe. Wirft man allerdings einen Blick nach Frankreich, so sieht man, dass auch die Bauern außer Kontrolle geraten können. Aber in Frankreich war die Agrarpolitik sowieso niemals derart ideologisch aufgeladen wie in Deutschland oder in der Schweiz, wo der Fondue-Werbespruch «Etwas stinken muss es» das Verhältnis des modernen Menschen zu seinem eigenen Leben auf den Punkt bringt. Hätte man für den Kopf nicht die üblen Gerüche aus dem Stall, man müsste sie direkt im Labor produzieren und als Parfum auf den Markt bringen. Vielleicht steht uns dieser sensorische Klima- und Kulturwandel sowieso noch bevor, nachdem wir jetzt seit Jahren mehr oder weniger geruchlos durch die Gegend taumeln, immer gut gewaschen, sauber geschminkt und eben mit Parfum bestäubt. Von Hermes gibt es einen Geruch, der «Terre» heißt; der Schritt zu «Merde» ist nicht weit.
Ich schweife ab. Ich wollte nur sagen, dass das Aufkommen rechtsextremer Bewegungen nicht direkt dem Versagen der Linken zuzuschreiben ist, sondern der Veränderung der Politik selber. Abgesehen vom Vokabular und vom Parteiprogramm sind sämtliche Unterschiede weggeschliffen; das einzige Alleinstellungsmerkmal ist die Verneinung geblieben, aber auch die hat sich meines Erachtens erschöpft. Die rechtsextreme ist nur eine von mehreren möglichen Ausdrucksformen der Machtlosigkeit, welche die Menschen vor der großen Politmaschinerie empfinden. Im Moment ist sie wohl darum so attraktiv, weil die anderen, nämlich eben die linken oder vermeintlich linksextremen Gruppen nun mindestens zwanzig Jahre lang den Beweis nicht zu erbringen vermochten, dass sie etwas ändern können. Das Gejammer auf dieser Seite kommt auch einer Kapitulation vor der Politmaschine gleich. Die Machtlosigkeit vor und in der Wirtschaftsmaschine ist im Vergleich dazu ein Kinderspiel, daran hat man sich bereits gewöhnt, man kennt die Regeln, es ist übrigens gerade im gewerkschaftlichen Sinne ein Regelwerk, das je länger, desto mehr an die Passionsspiele im Bauernstand erinnert, einfach diesmal gebunden an die politische Tradition der Linken; bloß vermag es die Linke durchaus nicht, im Zeitalter der weg mutierenden Industrien die Passionsspiele neu zu definieren oder wenigstens in ein Biedermeier-Ritual zu verwandeln. Je weniger man sich im herkömmlichen Gesellschaftsmuster eine Zukunft vorstellen kann, desto mehr rutscht die Klasse der Beschäftigten ins Lager der Schreihälse. Die tun wenigstens etwas, nämlich schreien, während sich die klassischen Interessenvertreterinnen an ihre Posten im politischen Betrieb klammern, während sie vorn rum den Beschäftigten ein paar schöne Töne flöten. Ja, diesen Eindruck muss man zwangsläufig erhalten, und zwar zwangsläufig deshalb, weil man auf die Entwicklung von Industrie und Gesellschaft im Moment schlicht und einfach keinen Zugriff hat. Das ist oder wäre die erste politische Aussage, auf der jedes Programm im Moment aufbauen müsste. Das leistet sich aber niemand, weder die Bauern-CSU noch die Arbeiter-SPD noch die Grünen und Grüninnen, die schon gar nicht, und von der Allianz für Deutschland und ihren rechtsextremen Bestandteilen ebenso wie von ihren Parteiführerinnen-Darstellerinnen, also der Santscha Pantscha wollen wir gar nicht erst sprechen.
Kommt mir übrigens in den Sinn: Ich bin ja einer dieser Gratis-Individuen, das heißt, ich erledige am Computer neben dem Tagesgeschäft immer gerne ein paar Spiele, für die ich nichts bezahlen mag, ich bin einerseits sparsam von meiner Herkunft her, zwar nicht aus dem Schwabenland, aber doch wenigstens noch weiter im Süden, und anderseits, weil uns das Internet immer als die Sphäre des Möglichen und der Freiheit angeboten wurde. Ich muss zugeben, dass ich in letzter Zeit die eine oder andere Ausnahme gemacht habe; seit ich gehört habe, dass sich die Kreise um die Lastwagenhupe in den Vereinigten Staaten und um die Santscha Pantscha bei euch und überhaupt alles, was irgendeinen Käfer zwischen den Ohren hat, dass sich diese Kreise also bemühen, die Wikipedia zu unterwandern und die Inhalte zu übernehmen, was mich vollkommen rational dünkt, weil auf der Wikipedia im Großen und Ganzen verifizierbare und faktenbasierte Artikel stehen, also ein Graus für alles, was Santscha Pantscha und Lastwagenhupe und Vincent Bolloré und all die anderen schwach beleuchteten Rotlichtviertel ist, seither also habe ich schon zwei Mal einen kleinen Betrag für die Wikipedia gespendet. Aber abgesehen davon bin ich also ein Gratis-Nutzer, und das hat zur Folge, dass in meine Gratisspiele immer wieder Werbung eingeblendet wird, neuerdings auch Einspieler von der fantastischen Internet-Wahrheitszentrale Nius, welche von einem Typen finanziert wird, der seinen Namen bei Eurer früheren Radio-Adresse gestohlen hat, ein Herr Gotthardt, den im übrigen Gott segnen möge oder auch nicht, ganz wie es ihm beliebt. Jedenfalls hat in diesem Sender der mit allen Mistwassern parfümierte und übel beleumdete ehemalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt ein paar weitere parfümierte und beleumdete ehemalige Mitarbeitende des parfümierten und beleumdeten Presseorgans Bild versammelt hat. Eine Einspielung ist mir jüngst aufgestoßen, nicht weil sie etwa progressiv geklungen hätte, sondern weil ich mir plötzlich wieder vergegenwärtigte, wie heute nicht Politik, sondern Stimmung gemacht wird von mit Mistwassern parfümierten quisiquasi-Redakteuren. Julian Reichelt beschwerte sich also am 17. Dezember 2025 über das Finanzamt, welches für Bürgergeld-Empfänger eine Extrawurst brät, ich nehme an, indem es ihnen verlängerte Zahlungsfristen einräumt, während die Normalbürger, für welche der mit allen Mistwassern gewaschene und parfümierte Julian Reichelt die gerechte Empörung in treffende Worte fasst, vom Finanzamt mit der Eisenfaust kujoniert werden, sprich, sie werden angemahnt, wenn sie ihre Rechnungen nicht pünktlich bezahlen. Man könnte in der Sache einwenden, dass so ein Bürgergeld-Empfänger in der Regel öfter nicht flüssig ist und, wenn er Geld hat, dasselbe eher für den Kauf einer Bratwurst verwendet als zur Begleichung von Steuerschulden, die ich mir bei einem Bürgergeld-Empfänger ohnehin nicht besonders hoch vorstelle; es erscheint mir geradezu als systemisch realistisch, wenn das Finanzamt regelmäßig darauf verzichtet, Sanktionen auszusprechen und Betreibungen einzuleiten gegenüber von Menschen, welche gar nichts besitzen. So also meine allgemeine Einschätzung aus der Distanz des Unwissens heraus, zugegeben. Aber eigentlich stieß mir dieses Mistwasser-Elaborat gar nicht wegen des Inhalts auf, sondern weil ich mir absolut sicher bin, dass dieser Mistwasser-Journalist, der natürlich niemals in seinem Leben als Journalist gearbeitet hat, sondern immer bei der Bild-Zeitung, dass dieser Mistwasser-Journalist niemals in seinem Leben einem Bürgergeld-Bezüger näher gekommen ist als die obligatorischen 500 Meter, welche jeden Bild-Schreiber vom Gegenstand seines Schreibens trennen müssen. Das völlig inhalts- und gegenstandslose Elaborat kam nur zustande, weil der Reichelt im Zusammenhang mit der Diskussion über Bürgergeld oder Grundsicherung wieder mal einen Kübel Jauche ausleeren musste, weil er wieder einmal über die Schwächsten der Gesellschaft vom Leder ziehen musste, wie dies bei ihm und seinesgleichen stets der Fall ist, wenn es um die Existenzsicherung wenig bemittelter Mitmenschen geht, sowieso natürlich, wenn es sich um Menschen aus anderen Ländern der Erde handelt.
Damit dies auch noch gesagt ist; ein bisschen Jauche über die Jauche-Schreiberlinge, das muss zu Weihnachten immer auch sein. In diesem Sinne wünsche ich ein frohes Fest.
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Albert Jörimann
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